In meiner aktuellen Beauftragung als Coach und ScrumMaster fiel gestern der Satz in einem Meeting:
„Auch wir in der IT sind ein produzierendes Gewerbe“
Dieser hat mich dazu bewegt, einmal in Form dieses Blog Artikels darüber zu reflektieren, wie handwerkliche Betriebe – in diesem Fall augenoptische Fachgeschäfte – ihr Handwerksleistungen kalkulieren und was wir in der Wissensbranche, der IT darüber lernen können, Denn Fakt ist eines. Berater, Entwickler, Tester, Manager und andere Beteiligte in IT Projekten werden für Anwesenheit bezahlt. Die Leistung einzelner ist also wenn überhaupt nur sehr subjektiv und durch feedback bewertbar.
Im folgenden Beispiel werde ich nun also aufzeigen, wie ein Handwerksbetrieb eine Dienstleistung kalkuliert und wie das im Projektkontext der IT Branche aussehen würde. Dabei ist mir nicht wichtig, ob das realistisch oder anwendbar ist, sondern, ob wir etwas daraus lernen können.
Konkret. Ein augenoptisches Fachgeschäft berechnet seinem Kunden für eine Augenprüfung einen Preis von 50 € zzgl. 19% Mehrwertsteuer. Der Kunde zahlt also 69,50€. Dieses Vorgehen ist Gang und Gebe. Der Preis entsteht aus 2 simplen Überlegungen:
a) Was kostet eine durchschnittliche Arbeitsstunde eines Augenoptikermeisters, der zur Augenprüfung berechtig ist.
b) Wie lange dauert eine durchschnittliche Augenprüfung.
Letztlich gibt es in Betrieben – dies sind sehr wenige – eine Preisliste, die neben dem Verkaufspreis von Produkten wie Brillenfassungen oder Kontaktlinsen ganz klar ausweist, was die unterschiedlichen Dienstleistungen wie Generalüberholungen einer Brille, eine Augenprüfung oder das Richten einer Brille kostet. Hat man sich den Aufwand einmal gemacht, so darf man sicher sein, an dieser Stelle keinen Verlust zu machen. Die Tatsache, dass Fillialisten viele Dienstleistungen kostenlos anbieten und sich daher beim Kunden beliebt machen, lasse ich außen vor. Diese Marketingleistungen können sich kleine Betriebe schlichtweg nicht leisten.
Kommen wir zur IT. Hier läuft die Sache anders. Berater a oder Entwickler e haben einen Tagessatz und individuelle Leistungen sind alle inbegriffen. Eine Kalkulation findet nur in sofern statt, als dass sich die eingekauften Kollegen überlegen, was sie brauchen oder wollen und beauftragende Organisationen überlegen, was sie sich leisten wollen. Am Ende kommt es zum Vertrag, der neue Kollege ist anwesend und wenn es gut läuft sind am Ende alle zufrieden. Nun gibt es Rollen und Projektumfelder, da ist sehr klar, was jemand tut und sichtbar wird es noch dazu. Andererseits gibt es Rollen, wie zb die eines Beraters oder Projektmanagers, in denen ist im schlimmsten Fall überhaupt nicht klar, was der oder diejenige tut. Die Zufriedenheit der Beteiligten beruht also auf eher subjektiven Faktoren und persönlichen Eindrücken.
Was wäre nun also, würde sich ein Dienstleister in der IT Branche nicht für Anwesenheit – in der Regel 8 Stunden für vielleicht 800 € – sondern für Leistungen bezahlen lassen?
Spielen wir das doch einmal durch.
Typische Leistungen eines Beraters beispielsweise können sein:
- Erstellen einer Power Point Präsentation
- Vorbereitung eines Meetings
- Moderation eines Meetings
- Ein 1 zu 1 Beratungsgespräch
- Schreiben einer Email
- und vieles mehr
Schnell wird klar, dass eine email z.b sehr lang, aber auch sehr kurz sein kann. Ob wir uns nun für Durchschnittswerte bei der Einpreisung oder wie im Folgenden exakter versuchen zu kalkulieren, es entstehen interessante Gedankenspiele und Fragestellungen. Hier 3 Beispiele unserer oben genannten Dienstleistungen mit der Voraussetzung, dass alles einen kurzen, mittleren oder langen Zeitwert haben kann auf Basis des Berater-Stundensatzes von 100€/Stunde.
- lange email (20 Minuten) = 33,33€
- Moderation eines kurzen Meetings (15 Minuten) = 20 €
- Erstellung einer Powerpoint Präsentation (3 Stunden) = 300 €
Am Ende des Tages trackt der Berater, was er heut geliefert hat. Da kommen schnell einige Posten zusammen. Kaufmännisch betrachtet könnte der Berater schnell merken, dass längere email Sinn machen als kurze oder große Powerpoint Präsentationen mehr Sinn machen als kleine.
Ist das aber im Sinne des Kunden?
Auch haben wie außer acht gelassen, dass in unserem Beispiel nur wirkliche Tätigkeiten bezahlt würden. Oder können Sie sich einen Posten vorstellen, der da lautet:
3 Stunden Gedanken gemacht = 300 €
Sicher ist, dass manche Menschen ausschließlich für gute Gedanken, ihre Ideen also bezahlt werden. Messbar ist diese Tätigkeit jedoch nicht. Vor allem kann kein Mensch dieser Erde verlangen und bewirken, dass gute Ideen nur am Schreibtisch der Projektfläche kommen. Es ist sogar eher unwahrscheinlich.
Warum wird also so viel Wert auf Anwesenheit gelegt?
Dass das im Sinne des Teamworks hier und da Sinn macht, ist ja klar. Bitte doch aber nicht verallgemeinern an der Stelle.
- Kommen wir zu weiteren Beobachtungen, die ich durch Fragen äußern möchte:
- Hat eine große Powerpoint Präsentation wirklich einen Wert von 300 €?
- Wer will das beurteilen?
- Gibt es vielleicht andere Perspektiven, die zu einer anderen Bewertung kommen?
- Ist die große Powerpoint Präsentation genau so viel wert wie 9 lange emails?
Wie wir es auch drehen oder wenden. Die Kalkulation des Handwerkers auf die des Wissensarbeiters zu übertragen hat so keinen Zweck. Viel zu subjektiv ist der Wert der Lieferung. Der Wert also von email, Präsentation und Co. Im Handwerk selbst kann der Privatmann schon beurteilen, ob ihm ein neu abgedichtetes Rohr inklusive Material und Anfahrt des Handwerkers 400 € wert sind oder ob er gewillt ist, für die Augenprüfung 69.50 € auszugeben.
Aus Sicht des Beraters könnte ein solches Vorgehen sogar dazu führen, unsinnige emails zu schreiben (schließlich wird er dafür bezahlt) oder gar lange Meetings abzuhalten. Aus Sicht des Auftraggebers würde natürlich recht schnell klar, dass das keinen Sinn macht. Hoffentlich mit der Erkenntnis und darauf möchte ich hinaus:
- Sie bekommen, was Sie belohnen
Leider gilt das – wie so vieles – natürlich nicht uneingeschränkt. So weiß die Forschung mittlerweile sehr genau, dass das schnelle Lösen eines Rätsel – die Lösung eines kniffligen Software Defects zb. – sogar länger dauert, wenn man es konkret und monetär belohnt. Im Buch Drive – welches ich an dieser Stelle dazu zum wiederholten Male empfehlen möchte – werden dieser Umstand und andere erstaunliche Effekte von Belohnungssystemen auf wunderbare ad absurdum geführt. So viel also zur Bezahlung von „Leistungen“. Schwierig. Wundern Sie sich also nicht, wenn ihre Belohungen und Incentives manchmal oder gar oft genau das Gegenteil dessen bewirken, was Sie sich wünschen.
Zurück zu unserem Beispiel. Wenn also die Bezahlung wirklicher Leistung im Sinne von Tätigkeiten nicht bezahlbar ist, besonders weil in der Wissensarbeit das „Gedanken machen“ eine riesige Leistung darstellt (erfahrene Entwickler berichteten mir in Interviews, dass sie in 60 % ihrer täglichen Arbeit denken und nur 40 % „tun“), dann können wir am Ende nur Anwesenheit bezahlen. So viel scheint klar. Wer sich nun aber mit Wissenschaft und Sinnhaftigkeit von purer Anwesenheit auseinander setzt, wird unumstößlich auf folgende Kenntnis stoßen. Der Zwang zur Anwesenheit aufgrund des eigenen Misstrauens als Basis einer Haltung gegenüber Menschen wird ein besseres Gefühl erzeugen, bei weitem aber nicht bessere Ergebnisse bringen. Und so landen wir dort, wo alles beginnt. Bei der Haltung der Verantwortlichen. Und diese sollte auf Vertrauen ruhen. Prüfen Sie doch einmal für sich selbst.
Woran glauben Sie?
Menschen sind von Natur faul und müssen motiviert wir kontrolliert werden. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.
Oder
Menschen sind von Natur aus motiviert und müssen vor Demotivation geschützt werden. Kontrolle ist gut. Vertrauen ist besser
Wie auch immer Sie in diesem kleinen Experiment entschieden haben, für agilen Wandel braucht es Vertrauen. Und das beginnt nicht bei den anderen sondern bei uns/bei Ihnen selbst. Sollte Ihnen dies noch schwerfallen, so ist das vollkommen ok. Einsicht ist der erste Schritt. Wenn Sie Vertrauen neu lernen wollen, so denken Sie doch auch einmal darüber nach, ob Sie den agile Coach mal für sich persönlich einspannen. Bis dahin kann ich Ihnen folgende Fragen empfehlen:
- Wann können Sie besonders vertrauen?
- Was ist da anders?
- Wann wurde Ihr Vertrauen schon einmal so richtig belohnt?
- Wer vertraut Ihnen so richtig und wie erwidern sie das?
- Was brächte Vertrauen Ihnen, wären Sie ab sofort vollumfänglich in der Lage.
- Wenn alle weiter bisher arbeiteten, nur Ihr Vertrauen wäre vorhanden, was wäre dann anders?
- Was würd aus Anspannungs- und Stresslevel werden, so sie „ganz und gar“ vertrauen könnten?