
Wer kennt ihn nicht. Den lustigen aber auch so wahren Film „Papa ante Portas“, in dem der umtriebige und leistungsorientierte Ehemann von einem Tag auf den anderen zuhause ist und die Familie in den Wahnsinn treibt. Nicht wissend wohin mit sich und seiner Energie.
In der systemischen Arbeit haben wir es zumeist mit Berufstätigen zu tun. Ihr Anliegen sind vielfältig, haben jedoch oft mit einer wichtigen Entscheidung oder Weiterentwicklungsfragen zu tun. Ich beobachte jedoch einen sehr interessanten Trend einer Gruppe Menschen, die sich in der späten Lebensmitte noch einmal die ganz großen Fragen stellen.
Was möchte ich mit meiner Zeit noch anfangen? Denn jetzt habe ich sie und die Couch ist keine Alternative.
Ich spreche von Menschen auf dem Weg in ihren Ruhestand. Solchen, denen das Glück zuteil wurde, sich auch ein erfüllendes Leben leisten zu können, ohne weiter arbeiten zu müssen. Ich spreche von Menschen, die sich vielleicht aufgrund einer großzügigen Abfindung, aufgrund cleveren Sparens in ihrem Leben oder aufgrund einer Betriebsrente früher als Gedacht in den Ruhestand verabschieden. Oder eben solche, die einfach in den Rentenstand treten und gut davon leben können. Ich beziehe mich heute auf Menschen, die eines gemeinsam haben. Geld UND Zeit. Und ich meine keine Millionäre, bei denen es wirklich nicht aufs Geld ankommt. Heute soll es sich um Menschen drehen, die ohne große finanzielle Einbußen aus dem beruflichen Alltag in die „Freiheit“ gehen, sprich mit monatlichem Einkommen, dass ihnen bis zum Lebensende ein Auskommen garantiert, wie sie es in etwa gewohnt sind. Existenzielle Sorgen spielen jedenfalls keine Rolle. Oder doch?
Schauen wir uns das an einem konkreten Beispiel näher an.
Sophie ist 59 und ihre Firma hat sich aufgrund eines großen Sanierungsvorhabens dazu entschieden, einer Personengruppe, zu der Sophie gehört, ein Abfindungspaket zu schnüren, welches ihnen bis zum Renteneintritt ca 90 Prozent des bisherigen Einkommens beschert. Da Sophie immer gut verdient hat, ist eines klar. Es reicht. Und dennoch tun sich viele Fragen auf.
Dies durfte ich von Sophie erfahren, die es mir gestattete, sie auf ihrem Weg zu begleiten.
Einige der zentralen Fragen, ja Sorgen, so muss ich sagen, möchte ich hier teilen. Zuvor sei noch erwähnt, dass ich durch Sophie verstanden habe, dass sich trotz genügend Geld durch regelmäßiges Einkommen große Sorgen auftun können. Wie zum Beispiel:
- Wie wird es mir gehen, wenn ich nichts mehr „zu tun“ habe?
- Kann mich das krank machen? Falle ich in ein Loch?
- Was möchte ich mit meiner Zeit anfangen?
- Wird die Beziehung zu meinem berufstätigen und erfolgreichen Mann leiden?
- Was ist der Sinn des Lebens?
Aus meiner Erfahrung eines Umtriebigen, der eher 3 als 2 Projekte treibt und der Erfahrung einer beruflichen 15 monatigen Auszeit mit ca 30 Jahren kann ich sagen, dass sich diese Fragen natürlich auch andere Menschen stellen. Vor allem aber kann ich nachfühlen, wie diese Fragen zu wahrlicher Angst und schlaflosen Nächten führen können. Ohne es zu merken, denn wir sind ja ständig „tätig“ während unserer sogenannten Karriere, macht uns die Leistungsgesellschaft zu Menschen, die einen Großteil ihres Halts, Sinns und ihrer Anerkennung aus dem Beruf bezieht. Selbst unser soziales Leben findet im Büro statt. Freunde sehen wir nur selten.
- Was jedoch, wenn der Beruf auf einmal wegfällt?
- Was bleibt von unserem Wert?
- Was macht uns eigentlich zu einem wertvollen Menschen?
All dies gilt es neu zu klären, zu sortieren und auf den Prüfstand zu stellen.
Tatsache ist jedenfalls, dass sehr viele Menschen in ihrem Berufsleben so sehr mit der Existenzsicherung beschäftige waren, dass sie nie ins Gestalten kamen.
Ein Hoch also auf alle jene, die irgendwann einmal ihre Berufung gefunden haben und so viel Erfüllung in ihrem Tun fanden (beruflich oder auch nicht), dass sie sich damit bis an ihr Lebensende befassen wollen. Gesundheit vorausgesetzt.
Heute geht es aber eher um jene, die diese „Suche“ scheinbar noch ein letztes Mal im ganz großen neu beginnen wollen oder gar müssen. Denn sonst drohen Couch, Einsamkeit und RTL 2. Vielleicht schlimmeres.
Zurück zu Sophie. Sie stammt aus meinem Bekanntenkreis. Damit war für mich eine Beauftragung als Coach ausgeschlossen. Eine Empfehlung und ein inspirierendes Zitat, sowie meine Begleitung als freundschaftlicher Fragensteller konnte ich ihr jedoch anbieten.
So empfahl ich ihr, sich mit Hilfe eines systemischen Beraters in den Prozess der „Transformation“ zu begeben. Das es eine wahrhafte Transformation wird, sollte sich noch herausstellen. Daher wähle ich den Begriff. Das erwähnte Zitat hat mich selber einmal sehr berührt. Denn es stammte von Wolfgang Niedeken, dem Liedsänger der Band BAP, der nach schwerer überstandener Krankheit einmal zu seiner Tochter sagte:
Du musst die Energie aus dem ziehen, was du tust und nicht aus dem, was du dafür bekommst.
Nur wenig beschreibt für mich so schön, worauf es bei der Wahl seiner Tätigkeit ankommen sollte. Wann auch immer ich sie treffe. Idealer Weise stellt mir ein ausgebildeter Mensch eben solche Fragen schon in der Schule. Das ist jedoch eine anderes Thema des entstehenden Buches, auf das wir uns später im Kontext unseres Schulsystems beziehen wollen.
Bleiben wir bei Sophie. Auch sie hat es schon Monate vor dem Schritt in die „Freiheit“ mit der Angst zu tun bekommen. Sogar die konkrete Angst vor Krankheit, beispielsweise einer Depression, hat sie des Nachts heimgesucht. Und ich konnte sie so gut verstehen. Bezog sie doch ihren Selbstwert, so wurde ihr mehr und mehr bewusst, über den beruflichen Erfolg, den sie sich immer wieder neu verdiente. Was aber, wenn dieser fehlen würde. Ihr blieben 4 Monate bis zum Ausstieg.
Das Spannende war zu sehen, dass das Thema Geld, denn ein großzügiges Einkommen bis zur Rente war ihr ja sicher, überhaupt keine Rolle beim Aufsteigen ihrer Ängste spielte. Es drehte sich einfach um etwas anderes. Die drohende Tatenlosigkeit. Also empfahl ich ihr, sich am besten ab sofort durch einen Berater begleiten zu lassen. Am Ende wurde es ein Kompromiss. Sie ging sofort auf die Suche, wir reflektierten in unregelmäßigen Abständen aber die eigentliche Arbeit mit ihrem Berater begann erst mit dem Austritt aus dem Unternehmen. Um es vorweg zu nehmen und um auf Lernerfahrung und scheinbar zentrale Fragen zu kommen, die Menschen umtreiben UND die sie sich stellen sollten, möchte ich den Ausgang von Sophies Transformation beschreiben.
Sophie ist heute glücklich. Die berühmte Angst vor der Angst war das schlimmste. Sie begriff, dass es häufig nicht die Realität ist, die uns so umtreibt, sondern unsere finsteren Gedanken und Horrorfantasien. Auch begriff sie in ihren schlaflosen Nächten, dass nicht Grübeln hilft sondern einzig und alleine Taten. Es mag eine kleine Ausnahme von Menschen geben, doch in der Regel fällt die Inspiration und der nächste Schritt nicht vom Himmel, wenn es um große Entscheidungen geht. Nein
Wir müssen uns kümmern. Um uns. Und wir „müssen“ ins Gestalten kommen.
Das hat für Sophie bedeutet, sich einen Coach zu suchen und so langsam ihren Übergang in den Ruhestand zu begreifen. Konkret heißt das, zu begreifen, dass Veränderung nie aufhört, so man vom Sofa aufsteht.
Ein „Ja und“…statt einem „Ja aber“ ist dabei hilfreich Haltung. Also die Veränderung zu begrüßen, denn sie kommt sowieso. Am besten sie aktiv zu gestalten und nicht nur zu reagieren, auf das was kommt.
Sophie hat heute einen Teilzeitjob in einem netten Team, der sie an 2 Tagen in der Woche beschäftigt. Sie lernt ein Instrument, trifft sich wöchentlich mit einer Frauengruppe, die ähnliches erlebt und betreibt intensiv ihr allzeit geliebtes Yoga. Bei dieser Struktur, so nennt sie es, hat sie begriffen, wie wichtig Struktur – ich nenne es Halt-für den Menschen ist. Vielmehr hat sie jedoch begriffen, dass es keine 45 Stunden Woche in einer Firma braucht, um Struktur zu erleben.
Wir sehen also, dass eine Regelmäßigkeit auch kleiner Tätigkeiten aber vor allem das regelmäßige soziale Leben Halt und Struktur geben können. Aus meiner Erfahrung als Coach und Berater kann ich das nur bestätigen und möchte betonen, dass aus meiner Sicht folgende Formel gilt:
Wer seine Werte kennt und danach lebt, wer in sozialen Gefügen Anerkennung Sinn und Dankbarkeit erfährt, wer tut, was ihm gut tut, der ist glücklich und wird seelisch gesund sein.
Am Ende, und so möchte ich hier schließen, bedeutet dies jedoch die ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Inneren. Es bedeutet, sich wichtige Fragen zu stellen, sich noch besser kennen zu lernen, in den Spiegel zu schauen und Veränderung zuzulassen. Denn
nichts ist so sicher wie die Veränderung.
Drei Fragen zum Schluss:
- Wie gut kennen sie sich, ihre Wertvorstellungen und das, was sie nachhaltig zufrieden und zuversichtlich macht?
- Wie könnten sie es noch besser herausfinden?
- Wenn Angst und Geld keine Rolle spielen würden in ihrer Welt. Was würden sie ab heute tun?
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