Am vergangenen Wochenende hatte ich Gelegenheit die Gründerin und Designerin eines aufstrebenden Mode-Labels kennenzulernen.
In den ausführlichen Gesprächen mit ihr ist mir sehr bewusst geworden, warum das so berühmte Buzzword „Start up“ aber auch rein gar nichts mit einer gelingenden Unternehmenskultur zu haben muss.
Zunächst eine Anekdote, die nicht schöner beschreiben könnte, in welcher Welt aus jenen Buzzwords und hippen Methoden wir uns mittlerweile befinden.
Im vergangenen Jahr reiste ich im Bordrestaurant eines ICE mit einem befreundeten agile Coach auf der Strecke von Frankfurt nach Berlin. Wir kamen mit einer Dame ins Gespräch, die uns fragte, was wir beruflich machten. Nach unserer Erklärung antwortete sie:
„Ah ja, das ist ja dieses Start Up Thinking“
Wir mussten breit grinsen und uns beiden wurde deutlich, wie sehr agile, Scrum, Kanban, Start Up, Design Thinking, Lean und New Work doch auch in die Irre führen können…
Zurück zum Thema Start Up und zur erwähnten „CHEFIN“.Ich schreibe das Wort groß, denn ich hatte eher das Gefühl, mir säße eine Dompteurin von Raubtieren oder ein Feldmarschall gegenüber, der mit Ansage und Kontrolle regiert als das er befähigt, unterstützt, moderiert, vermittelt und vernetzt, einen Rahmen für gelingendes Wachstum erschafft.
Kurz: Mir saß eine Fachfrau gegenüber, die das Führen nie gelernt hat.
Auf dieses Phänomen möchte ich näher eingehen, denn es muss aus meiner Sicht in diesen sogenannten Start Ups weit verbreitet sein. Ich nenne es das
Unglück durch Beförderung
Dazu vielleicht ein Vergleich zu einem fiktiven Krankenhaus, in dem es einen leidenschaftlichen Chirurgen gibt, der es über alles liebt, Menschen zu helfen, in denen er ihnen nach Unfällen die Knochen und Verletzungen flickt. Wie so oft in der Welt der Experten passiert dann leider, was nicht funktionieren kann.
Der beste Experte wird befördert und muss plötzlich Menschen führen.
Ein Skill, den er oder sie vielleicht nie erworben hat, der ihm oder ihr eigentlich gar keine Freude macht und damit Tätigkeit, die die neue Führungskraft doch nie ausüben wollte. Und darunter haben nun alle zu leiden. Ein Team, das von jemand geführt wird, der es nicht kann und eine Führungskraft, die nicht mehr tut, was sie eigentlich liebt. Nämlich operieren.
So auch im besagten Mode Start Up. Die Gründerin, studierte Designerin, liebt es, Mode zu entwerfen und ihre kreativen Gedanken in die Realität zu bringen. Sie hasst es hingegen – so war meine Wahrnehmung – sich um die Belange von Führung und Wachstum zu kümmern. Letztlich tut sie, was ihr Bauch ihr befiehlt und das heißt Ansage und vor allem Kontrolle Kontrolle Kontrolle.
Der Zusammenhang aus Angst und Tempo
Interessant war dabei, dass sie sich darüber wunderte, dass ihre Mitarbeiter so langsam sein, brachte sie dies doch nicht in Verbindung mit der von ihr erzeugten Angst im Unternehmen, Fehler zu begehen. Sie erwähnte, dass alle ihre Arbeit doppelt und dreifach machen, sah jedoch nicht, dass sie es war, die durch ihren Kontrolldrang und nächtliche wie Reminder per Mail eben jene Angst erzeugte, die dafür sorgte, dass eben alle bloß keinen Fehler begehen wollten. Den Zusammenhang aus Angst und Tempo konnte sie vielleicht sehen als ich sie auf ein Gedankenexperiment einlud, indem ich ihr eine Frage stellte, die uns in jedweder Beziehung zwischen Menschen helfen kann:
„Ist es möglich, dass das Verhalten deiner Mitmenschen eine Reaktion auf dich ist“?
Letztlich bedingt sich Verhalten und wir alle reagieren aufeinander. So schrieb ich in meinem Artikel
https://christophbeduerftigdotcom.wordpress.com/2017/09/27/kommunikation-und-kreisverkehr/
darüber, dass es nicht so sehr interessant ist, warum wir etwas tun, sondern wie es besser wird. Das ist keine pauschale Aussage, die Anspruch auf immer währende Richtigkeit hat, sondern eine These, die sich auf die Verbesserung von Kommunikation und die lösungsorientierte Arbeit systemischer Berater Coaches und Therapeuten bezieht.
Zurück zur Chefin und einem weiteren Phänomen, dass ich hochinteressant fand.Während der Klagen über ihre Mitarbeiter hatte ich durchgängig das Gefühl, als würden diese Menschen in einem ganz anderen Unternehmen arbeiten als in jenem der Designerin. Als hätte sie gar nichts mit diesen Menschen zu tun und würde nur beurteilen, wie diese Mitarbeiter eben Fehler um Fehler machen. Mir entstand das Bild eines Lebensmittelkontrolleurs, der mal erscheint, Fehler aufzeigt und zur Kontrolle wiederkommt. Niemand also dessen Verhalten im Arbeitsalltag das Verhalten der Mitarbeiter bedingen könnte. Auch hier versuchte ich ihr den Zusammenhang aus ihrem Verhalten und dem der Mitarbeiter deutlich zu machen, indem ich ihr die Frage stellte:
„Wer hat denn die Mitarbeiter eingestellt?“
Zumindest mal hier erschaffen ja Gründer und Chefs etwas, dessen Verantwortung sie sich nicht entziehen können und so kam in mir die Frage auf, die ich zur Diskussion stellen möchte:
„Erschafft ein Gründer wirklich alles in seinem Unternehmen und ist am Ende also auch 100% für das Geschehen in seiner Firma verantwortlich?“
Rein rechtlich wurde diese Frage schon des Öfteren durch Dieselskandal und Festnahmen selbst von hochrangigen Managern mit „Ja“ beantwortet. Man könnte sagen „Dummheit im Sinne von Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Ich will aber vielmehr darauf hinaus, ob ein Unternehmer wirklich alles erschafft, was im Unternehmen vor sich geht, denn er oder sie war ja Mitarbeiter Nummer 1. Natürlich erzeugt er nicht jeden Vorgang und jedes Missgeschick. Den Rahmen und die Voraussetzung ist jedoch zweifelsohne an irgendeiner Weggabelung durch ihn oder sie entstanden.
So möchte ich einfach Werbung dafür machen, dass wir Gründer, so auch ich vor einigen Jahren, Verantwortung übernehmen und uns dieser nicht entziehen, wenn Fehler passieren. Es hat immer auch mit uns zu tun und der Fisch – ich mag eigentlich keine Phrasen – stinkt ja bekanntlich am Kopf zuerst. Denn letztlich geht es darum, und das muss auch ich immer mehr lernen, dass wir nicht andere verändern können, sondern nur wir uns selbst. Dies in der Hoffnung, dass andere uns folgen oder zumindest, mit gewünschtem Verhalten auf unsere Veränderung reagieren. So beginnt Veränderung dann doch immer bei uns selbst.
Mein Resumé
Wir agilen Coaches engagieren uns im Sinne unserer Kunden dafür, dass ihre Vorhaben gelingen. Dazu bedienen wir uns agiler Methoden und bilden uns (hoffentlich) ständig fort um unseren Wissensstand frisch zu halten und stets den Auftrag zu erfüllen, den wir erhalten haben. Mal geht es darum, Time to market zu verkürzen, mal geht es darum, das Wohl und die Gesundheit der Mitarbeiter durch „neues Arbeiten“ zu stärken, manchmal darum, die vorhandene Qualität zu steigern oder das Unternehmen durch mehr Reaktionsfähigkeit/Agilität für den Wettbewerb der Zukunft zu wappnen. In jedem Fall fließt viel Energie und Schweiß in diese Vorhaben und Transformationen und dies nie zum Selbstzweck. Am Wochenende habe ich gelernt, dass all das nichts mit einem Start UP zu tun hat und das es kein bisschen cool sein muss, in einem solchen zu arbeiten, wenn die Führungskraft – meist der Gründer – nicht führen kann oder will. Dann wird sich jenes wiederholen, was so vielen Start UPs passiert.
Spätestens beim Wachstum wird das Vorhaben scheitern.